Die gerichtsintegrierte Mediation
Die gerichtsintegrierte Mediation gibt es seit etwa 1994 in Deutschland. Sie ist kein Import, sondern ein, zunächst in hoch eskalierten Familiensachen, aus Erfahrungen und praktischen Notwendigkeiten heraus entstandes Vorgehen innerhalb eines Erkenntnisverfahrens.
Bei der gerichtsintegrierten Mediation handelt es sich um eine Ausprägung der Integrierten Mediation, die nach den heutigen Erkenntnissen als ein Mediationsformat einzuordnen ist, das außerhalb des Mediationsverfahrens zur Anwendung kommt. Eine vollständige methodische Umsetzung der Mediation würde als substantielle Mediation erfasst werden.
Historie
Der Richter Arthur Trossen, der Psychologe Eberhard Kempf und der Rechtsanwalt Ralf Käppele haben sich zusammengefunden, um in hoch eskalierten Familienangelegenheiten einen für alle Beteiligten, insbesondere für die Kinder, erträglichen Umgang mit dem Konflikt zu finden und den Schaden für Alle, einschließlich der Gesellschaft, gering zu halten. Ihre Erfahrung hat gezeigt, dass die Parteien in hoch eskalierten Konflikten wenig einsichtsfähig sind, keine Verhandlungsbereitschaft haben, nur den gegner (oder sich selbst) im Blick haben und destruktiv mit sich selbst, dem Gegner und nicht zuletzt den eigenen Kindern umgehen. Es sind die Merkmale eines Rosenkrieges. Er entspricht der höchsten Eskalationsstufe, der die gegenseitige Vernichtung in den Vordergrund stellt. Eine Mediation wird in derartigen Fällen für nicht möglich gehalten.
Die Kooperation zwischen Richter, Anwalt, Psychologen und natürlich Mediatoren war befruchtend. Sie hat dazu beigetragen, die unterschiedlichen Sichtweisen nicht nur der professionell beteiligten Personen sondern auch der Parteien und Kinder besser zu verstehen. Das Leid aller, die mit diesem Verfahren zu tun haben und die hinter dem Leid liegenden Bedürfnisse gerieten mehr und mehr in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ursache und Wirkung wurden hinterfragt, ebenso wie die Möglichkeiten, die das Gerichtsverfahren oder die Mediation, die Beratung und die Expertise des Jugendamtes oder der Beratungsstelle haben.
Mehr und mehr wurde deutlich, wie wichtig es ist, die Verantwortlichkeiten genau gegeneinander abzugrenzen die unterschiedlichen Sichten auf das Problem und die mögliche Lösung herauszuarbeiten. Mehr und mehr wurde der Nutzen nicht nur der Parteien in den Vordergrund gestellt. Eine ausreichende Zahl an Gerichtsverfahren gab hinreichend Gelegenheit, die so entwickelten Gedanken in der Praxis zu erproben.
Je tiefer die Protagonisten sich in die Problematik eingearbeitet haben, desto mehr wurde bewusst, dass die Wirkfaktoren eigentlich alle in der Mediation beschrieben werden. Die einzige Frage die sich dann gestellt hat war, wie sich diese Faktoren in einem anderen Verfahren als der Mediation wiederfinden oder herstellen lassen.
Projekte
Die Erfahrungen wurden zusammengefasst und als AltenkirchenerModell beschrieben. Weil es im gleichen Oberlandesgerichtsbezirk ein ähnliches Projekt gab, das als CochemerPraxis beschrieben wurde, gab es Bemühungen, die Projekte zusammenzuführen und die jeweiligen Erkenntnisse auszuwerten. Dabei sind Parallelen aufgefallen:
Die, Praxis hatte mit der Einführung von interprofessionellen Arbeitskreisen eine Plattform geschaffen, mit der ein interdisziplinäres Wissen in die Verfahren eingebracht werden konnte. Die Arbeitskreise haben auch eine Arbeitsteilung ermöglicht und Fragen beantwortet, wie mit Phänomenen bei hoch eskalierten Familienkonflikten umzugehen ist. Die Erkenntnisse wurden in Regeln überführt, an denen sich Anwälte, Jugendämter und Beratungsstellen orientieren konnten.
Auch das AltenkirchenerModell hat diese Erfahrungen verwertet ohne dass Arbeitskreise errichtet werden mussten. Die Altenkirchener Herangehensweise war deshalb weniger formell, mehr auf das Verfahren bezogen und leichtgängiger. Was beide Projekte gemeinsam hatten war die Erfahrung, dass es bei hoch eskalierten Familienkonflikten einer Autorität bedarf, die die Parteien in eine Kooperation hineinzwingen und halten kann. Bemerkenswert war die Erkenntnis, dass sich der Druck auf die Parteien auf das Verhandeln und nicht auf die Lösung bezogen hat. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Parteien anfangs Widerstand leisten aber dann, wenn der Verhandlungsdruck nicht nachlässt, eine positive Erfahrung gewinnen, die in den meisten Fällen zu einer echten Befriedigung und Konfliktüberwindung geführt haben.
Während die Cochemer Praxis diesen Effekten nur über eine interprofessionelle Arbeitsteilung herstellen konnte, erreichte die Altenkirchener Praxis den gleichen Effekt durch die Ausschöpfung situationsbedingter Möglichkeiten und eine dementsprechende Anreicherung des Verfahrens. Später wurde versucht, beide Projekte in der sogenannten Koblenzer Praxis zusammenzuführen.
Dem Altenkirchender Projekt wurde entgegengehalten, dass sein Erfolg nur wegen der Konfliktkompetenz der Protagonisten möglich sei. Es wurde argumentiert, dass diese Vorgehensweise personengebunden und nicht zu erlernen sei. Um diesem Argument nachzugehen, war es Trossen und Kempf gelungen, das Ministerium in Rheinland-Pfalz von einem Modellversuch zu überzeugen. Der Versuch wurde offiziell als „Integrierte Mediation in Familiensachen im Bezirk des OLG Koblenz“ und inoffiziell als Justizprojekt bezeichnet und evaluiert. Das Gutachten von Professor Neuert hat erwiesen, dass die Anwendung eine statistisch messbare Steigerung der Zufriedenheit aller Beteiligten herbeiführen kann.
Justizprojekt Sozio-okonomische Analyse
Leider entsprach das Ergebnis nicht der damals vorherrschenden formalen Sicht auf die Mediation, sodass das Projekt, trotz seines erwiesenen Erfolges, nicht weitergeführt wurde. Die 21 an dem Projekt beteiligten Familienrichter wurden in der Folge nicht weiter unterstützt. Die Supervisionen haben aufgehört, sodass die Richter mehr und mehr wieder in ihr konventionelles Verfahrensschema zurückgefallen sind. Geblieben sind einige Kompetenzen, wie etwa das aktive Zuhören, die klare Abgrenzung der Verantwortlichkeiten, der Blick auf die Bedürfnisse auch der Kinder und systemische Ansätze, wie sich diese Bedürfnisse zu einem konstruktiven Miteinander verwerten lassen. Die Idee war geblieben aber die Umsetzung hauptsächlich auf lösungsorientierte Sachverständige, wie zum Beispiel Eberhard Kempf, verlagert worden.
Ist das Mediation?
Die zentrale Frage, die sich gestellt hat, kam insbesondere in der Kommunikation mit den Verbänden auf. Es wurde bestritten, dass die Herangehensweise in Altenkirchen eine Mediation sei. Viele meinten: "Das kann es nicht geben. Eine Mediation ist ein Verfahren vor einem nicht entscheidungsbefugten, neutralen Dritten". Wenn die Auffassung ein mit nicht ein vor einem neutralen Dritten meint, wäre die Einbeziehung eines nicht entscheidungsbefugten, neutralen Dritten zumindest eine mit dem Mediationsgesetz konform gehende Meinung. Es ist unstreitig, dass das Mediationsgesetz, das es zum damaligen Zeitpunkt aber noch nicht gab, auf dieses Anwendungsformat NICHT anwendbar sein kann.
Aber auch das Mediationsförderungsgesetz hat (unbewusst und aus ganz anderen Gründen) eine Unterscheidung zwischen der Mediation als Verfahren und der Mediation als Methode eingeführt. Allerdings hat es weiterhin an dem Prinzip der fehlenden Entscheidungsbefugnis festgehalten, weshalb der Güterichter als ein nicht entscheidungsbefugter Richter eingeführt wurde. Die fehlende Entscheidungsbefugnis wurde weiterhin als ein zentrales Element der Mediation angesehen.
Die ständige Auseinandersetzung mit der Frage was eine Mediation ist und was sie ausmacht hat dazu geführt, dass die integrierte Mediation sich mehr und mehr von den formalen Bedingungen der Mediation als eigenständiges Verfahren gelöst hat. Dadurch war die Frage der Funktionalität der Mediation, also die Frage nach den notwendigen Elementen und wie diese miteinander zusammenhängen, damit daraus eine Mediation entstehen kann, in den Mittelpunkt der Überlegungen und Untersuchungen geraten.
Ein Ergebnis dieser Untersuchungen war die Einführung der Mediationstheorie. Wenn es in der Mediation darauf ankommt, dass die Parteien selbst eine Lösung finden sollen, müssen SIE Erkenntnisse gewinnen, die sie dazu befähigen, die Lösung zu finden. Es wurde herausgefunden, dass die Mediation unabhängig vom Verfahren alle Elemente vorhalten kann und ihr Zusammenwirken in einer Art und Weise definiert, die diesen Erkenntnisprozess möglich macht. Der auf den Erkenntnisprozess gelegte Fokus ist in der Lage, alle Vorgänge in der Mediation zu belegen und zu beschreiben. Er ist auch in der Lage, das Wesen der Mediation zu definieren und die Eigenschaften von den Prinzipien abzugrenzen. Schließlich erlaubt der Blick auf den Erkenntnisprozess auch die Notwendigkeit und Grenzen der Prinzipien präzise gegeneinander abzugrenzen.
Bezogen auf die Funktionalität verlieren einige Prinzipien ihren zwingenden Charakter. Inzwischen ist in der Literatur anerkannt, dass die Vertraulichkeit und die Neutralität durchaus disponibel sind. Für die integrierte Mediation ist auch die fehlende Entscheidungsbefugnis an disponiertes Merkmal, wenn sich diese Funktion in einem Prozess anders herstellen lässt. Ausschlaggebend ist die Herstellung einer Metaebene, die nicht an Personen sondern an Rollen gebunden wird. Eine Personenbindung ist erst erforderlich, wenn die beteiligten Personen nicht in der Lage sind, die Metaebene anders herzustellen.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Mediationsradius wesentlich größer ist als das Mediationsgesetz oder das Mediationsförderungsgesetz vorgeben. Unabhängig vom Verfahren verwirklicht sich die Mediation zumindest in der Tätigkeit des meditierens immer dann, wenn sich der Erkenntnisprozess unter Einbeziehung aller Elemente der Mediation in einer Art und Weise verwirklicht, dass die Funktionalität der Elemente und ihrer Interaktion aus einer systemischen Sicht heraus betrachtet möglich sind. So betrachtet ist die gerichtsintegrierte Mediation also durchaus eine Mediation.
Integrierte Mediation
Um überhaupt eine Auseinandersetzung mit der Problematik zu ermöglichen, war es hilfreich der Vorgehensweise einen eigenen Begriff zu geben. Nur so konnte sie genau beschrieben und abgegrenzt werden. Als Bezeichnung dieser Herangehensweise wurde der Begriff integrierte Mediation geprägt. Im Laufe der Zeit hat sich der Begriff immer mehr mit Inhalten gefüllt, sodass sich aus der Integrierten Mediation ein eigenständiges Mediationskonzept entwickelt hat.
Die Lehre der Integrierten Mediation
Erscheinungsformen
Die über den gleichnamigen Verein, der im Jahre 2001 gegründet wurde, ermöglichten Forschungen und Untersuchungen ergaben ein immer differenzierteres Bild über die Mediation und dem was unter Integrierte Mediation zu verstehen ist. Jetzt hat es sich herausgestellt, dass die Integrierte Mediation für ein Konzept steht, dass auf den Erkenntnisprozess der Mediation aufsetzt. Sie steht auch für ein Mediationsmodell, das der blendedMediation nahekommt. Schließlich bezeichnet sie auch ein Format, das ich in der gerichtsintegrierten Mediation wiederfindet.
- Gerichtsintegrierte Mediation
- Der Begriff gerichtsintegrierte Mediation musste etwa im Jahr 2010 eingeführt werden und die Unterschiede der Anwendung, die Möglichkeiten und Konsequenzen besser beschreiben zu können. Das Format beschreibt die Anwendung meditativer Elemente und die Verwirklichung ihrer Funktionalität innerhalb eines gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, also auch dann wenn der erkennende Richter meditiert auch ihm ist es möglich, die Mediation zu realisieren, solange er die Metaebene über den Fall und das Verfahren herstellen und solange er in dieser Rolle gesehen werden kann.
- Verfahrensintegrierte Mediation
- Die Idee einer Verwendung der Mediation in anderen Verfahren beschränkt sich nicht nur auf die Gerichtsverfahren. Allgemein verwendet ist deshalb auch von einer verfahrensintegrierte Mediation die Rede.
Die verfahrensintegrierte Mediation
Praxis
Die Idee, eine Mediation virtuell abzubilden ist nicht auf die Integrierte Mediation beschränkt. Die kooperative Praxis verwendet eine ähnliche Herangehensweise. Die streitigen Anwälte verbleiben in ihrer Rolle als Mandatare, solange es um die Problemlösung geht. Der hinter dem Problem liegende Konflikt wird mediiert, in dem die Anwälte in diesem Bereich kooperieren und meditative Elemente verwenden. Also auch hier kommt es zu einer Rollensplittung, ohne dass eine neutrale Dritte Person formal einbezogen wird. Die Rolle des nicht entscheidungsbefugten, neutralen Dritten, wird stellvertretend von den Anwälten wahrgenommen.
Die kooperative Praxis beschränkt sich auf die außergerichtliche Konfliktbeilegung. Die Anwälte versprechen, das Mandat niederzulegen, wenn es zu einem Gerichtsverfahren kommt. Die Integrierte Mediation geht weiter und erlaubt diese Praxis auch innerhalb des Gerichtsverfahrens. Die nachfolgenden Beispiel sollen einen zusammenhängenden Eindruck geben, wie sich das Konzept innerhalb eines Gerichtsverfahrens verwirklichen lässt:
Die in Verhandlungsschritte aufgeteilten Beispiele sollen nur einen Eindruck davon geben, wie sich die Mediation in anderen Verfahren realisieren lässt. Wo der Richter auf Grenzen stößt, kann er mit den Parteien überlegen, wie die fehlenden Elemente der Mediation auf anderem Wege einzuführen sind. Die Verhandlung kann gegebenenfalls unterbrochen werden, den Parteien und Anwälten können Hausaufgaben mitgegeben werden. Auch kann das Jugendamt einbezogen werden wenn es sich um eine Familiensache handelt ebenso wie der Sachverständige oder die Beratungsstelle. Wichtig ist, dass allen auf diesem Wege einbezogene Personen und Institutionen nicht auf das Ziel der Entscheidung sondern vorrangig auf das Ziel der Friedensbildung einjustiert werden.
Bei der gerichtsintegrierten Mediation wird das Verfahren (in dem Fall also das Gerichtsverfahren) an dem Maßstab der Mediation gemessen. Der Richter führt eine Art Differenzrecherche durch die ihm genau aufzeigen kann, welche meditativen Elemente fehlen. Es ist eine Frage der Möglichkeiten diese gegebenenfalls auch aus dem Umfeld oder durch Delegation einzubeziehen.
Die Lehre der Integrierten Mediation
Bedeutung für die Mediation
Zugegebenerweise erfordert die Vorgehensweise der gerichtsintegrierten Mediation ein tiefes Verständnis des Richters von der Mediation und eine Menge Übung. Die gerichtsintegrierte Mediation ist - wenn man es so sehen will - eine substantielle Mediation unter erschwerten Bedingungen. Das Justizprojekt hat bewiesen, dass es möglich ist, sich diese Kompetenz anzueignen. Es kommt zu einer WIN-WIN-Situation von der alle, also die Parteien (in Familiensachen die Kinder) die Rechtsanwälte und der Richter profitieren.
Niemandem wird etwas weggenommen. Sowohl das Gerichtsverfahren wie die Mediation bleiben intakt. Der Konkurrenzgedanke, wie er den Güterichterverhandlungen unterstellt wird, verliert seine Grundlage. Die gerichtsintegrierte Mediation ist ein Wegbereiter für die Mediation. Das Mediieren des Richters vermittelt den eine konkrete Vorstellung davon, was sie in der Mediastion zu erwarten haben. Danach fällt ihnen die Entscheidung für eine externe Mediation leicht. Die Praxis hat belegt, dass es in keinem Fall zu einer Ablehnung kam, wenn der Richter zur Vollendung des im Gericht eingschlagenen Weges, eine Mediation vorgeschlagen hat. Immer wenn er Richter seine Grenzen erreicht, ist also der Weg in eine Mediation, für die das Mediationsgesetz anwendbar ist, geebnet.
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Alias: gerichtsintegrierte Mediation, gerichtsintegrierte_Mediation
Siehe auch: Altenkirchener Modell, integrierteMediation
Diskussion: Kann ein Richter Mediator-sein?, Problemlöser, Falldiskussion (Intervision)
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